GigE Vision ist aus der Welt der Bildverarbeitung schon lange nicht mehr wegzudenken: nach dem Start 2006 sind heute nach einer AIA Studie über 50% aller neuen Kameras mit dem GigE Vision Interface ausgestattet. Natürlich haben auch alle anderen Kamera-Interfaces ihre Anwendungen und Märkte. Für eine breite Masse an Applikationen wird jedoch heute GigE Vision bevorzugt. Die Vorteile des kostengünstigen Interfaces bezüglich Verkabelung, Stabilität, Eignung für Multi-Kamera-Setups, herstellerübergreifender Standardisierung und Kosten sind hinlänglich bekannt.
Was sich 10 Jahre lang gut und stabil weltweit bewährt, beginnt aber heute in neuen Applikationen eine gewisse Schwäche zu offenbaren. Die Transferleistung von ca. 120MB/s waren vor 10 Jahren auf Höhe des Bandbreitenbedarfs damaliger Sensoren. Gerade in den letzten Jahren hat die Sensorentwicklung jedoch große Sprünge gemacht und die Trends der neuen Sensoren befeuern den Bandbreitenbedarf. Immer mehr Auflösung, der Wandel von CCD hin zu schnellen CMOS Sensoren genauso wie ein vermehrtes Aufkommen von Farb- oder sogar Hyperspektral Sensoren lassen GigE immer häufiger an seine Leistungsgrenze stoßen. Aktuelle CMOS Sensoren von Sony und onSemi liegen in Bereichen von 400MB/s und werden durch GigE Vision damit entsprechend gedrosselt.
GigE Vision beschleunigen
Um von der begrenzten Transferleistung von 120MB/s nicht ausgebremst zu werden und trotzdem GigE Vision mit seinen Vorteilen zu nutzen, bieten einige Kamerahersteller schon seit einiger Zeit Kompressionstechnologien an: die Bilddaten werden in der Kamera komprimiert und als codierter Inhalt über Standard GigE übertragen. Lt. Angaben der Hersteller lassen sich damit Faktor 2-4 mehr Daten auf die 1 Gbps Bandbreite von GigE pressen, diese Kompression ist allerdings immer abhängig vom Bildinhalt und auf der Seite des PCs muss natürlich eine Software Dekompression vor der Bildanalyse stattfinden.
Um die Bandbreitenlücke zwischen GigE und den aktuellen Sensoren zu schließen ohne dabei Bilddaten komprimieren zu müssen und ohne dabei auf ein neues Interface wechseln zu müssen kommt ein Standard mit dem Namen NBASE-T ins Spiel.
NBASE-T ist ein Ethernet-Standard, der auf dem gleichen physikalischen Layer wie GigE arbeitet, jedoch um den Faktor 2.5 bzw. 5.0 beschleunigt ist. Daten werden also über den gleichen RJ45 Stecker, über existierende CAT5e/CAT6 Verkabelung bis 100m Länge, unkomprimiert mit dem unveränderten GigE Vision Protokoll bei bis zu 500MB/s übertragen.
Wer steht hinter NBASE-T
Getrieben wird der NBASE-T Standard natürlich nicht von der Bildverarbeitungsbrache sondern von einem Konsortium aus mehr als 60 Firmen, darunter prominente Namen wie Intel, Cisco, Xilinx, Marvell, Qualcom, und weitere. Die Notwendigkeit nach höheren Übertragungsraten über existierende CAT5e/CAT6 Verkabelung ist nämlich genauso im IT Umfeld gegeben durch die ca. 700 Millionen Kilometer Kupferkabel, die heute in Bürokomplexen, Forschungszentren, Wohnarealen etc. verlegt sind. Nachdem man heute mit mobilen Geräten Wireless-Verbindungen zum nächsten Access-Point mit bis zum 5Gbps aufbaut, haben sich diese in der existierenden Netzwerk-Infrastruktur zu Bottle-Necks mit 1GBps entwickelt. Hier ist also ein massiver Bedarf nach einem deutlichen Mehr an Bandbreite. 10 GigE jedoch erfordert entweder eine fiberoptische Übertragung oder CAT6a Verkabelung, um die volle Reichweite von 100m zu nutzen. Der Wechsel des physikalischen Übertragungsmediums für 10 GigE würde gigantische Aufwände und Kosten verursachen, so dass das Ziel der Industrie eine deutlich gesteigerte Bandbreite auf existierende Medien ist. NBASE-T wird daher also von einer großen Industrie mit einem riesigen Zielmarkt getrieben.
Was bringt´s dem Bildverarbeiter?
Einer der ganz großen, in der praktischen Anwendung eher unsichtbare Vorteil des GigE Vision Protokolls ist die vollständige Unabhängigkeit vom physikalischen Ethernet Layer. Da sich mit NBASE-T eben ausschließlich dieser ändert, lässt sich GigE Vision 100% transparent übertragen, ohne dass Software oder Firmware angepasst werden müssen. Ein Mechanismus, den man ja heute schon nutzt, wenn GigE Vision Kameras z.B. auf einem 10GigE Switch zusammengeführt oder drahtlos über Wifi übertragen werden.
Die Vorteile liegen auf der Hand: allein durch die Verwendung eines NBASE-T Senders (= der Kamera) und eines NBASE-T Emfpängers (= die Netzwerkkarte) lässt sich ein unkomprimierter High-Speed Bildtransfer umsetzen, der softwareseitig zu 100% auf GigE Vision beruht.
Bildverarbeitungs-Software kann also genau so verwendet werden wie sie heute ist. Eine NBASE-T Netzwerkkarte meldet sich im Betriebssystem als Standard Ethernet-Adapter, eine NBASE-T Kamera als Standard Ethernet-Teilnehmer. Das gesamte GigE Vision Protokoll läuft wie gehabt – nur eben mit 500MB/s. Alle Vorteile wie lange Kabelstrecken, verteilte Systeme, Power-over-Ethernet zur Stromversorgung, IEEE134588 Precision Time Protokoll für Realtime Trigger über die Datenleitung, Autonegotiation der Übertragungsgeschwindigkeit und sogar der Mischbetrieb von Geräten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten oder über unterschiedliche Medien (Kabel/Drahtlos) ist unverändert möglich.
Komponenten für Kamera-Entwickler und Anwender
NBASE-T fasst schnell Fuß in der IT Industrie und daher sind NBASE-T Produkte wie Netzwerkkarten, Switches, PHY Bausteine, Protkoll-Analysatoren, Ethernet-Controller standardmäßig verfügbar.
Speziell für die Bildverarbeitung gibt es zur VISION zwei Produktkategorien: Pleora als Mitglied des NBASE-T Konsortiums zeigt ein NBASE-T Kamera-Interface für OEMs. Entwickler von Spezialkameras oder anderen bildgebenden Geräten wie Flat-Panel Detektoren können damit das fertige NBASE-T Interface nahtlos integrieren und so den Datendurchsatz sofort auf 5GBps steigern. Diese Pleora Technologie gibt auch als FPGA IP-Core, wenn es zu 100% auf eigener Hardware mit integriert werden soll.
Auch e2v sieht den Bedarf an mehr Datendurchsatz: die modernen Zeilenkameras der ELiiXA+ und UNiiQA+ Serien liefern 2k oder 4k Auflösung in Monochrom mit bis zu 140 kHz (=> 560 MB/s) bzw. in Farbe mit bis zu 100 kHz. Gerade Anwendungen mit Zeilenkameras erfordern häufig hohe Kabelstrecken und auch Mehrkamera-Systeme sind oft anzutreffen. Daher wurde für diese Kameras der Ruf nach Netzwerkübertragung immer lauter. Allerdings ist das beim Schritt auf 10 GigE mit externen CL-10Gig Fiberoptischen Umsetzern nur mit hohem Kostenaufwand, bzw. für 1 GigE eben nur bei drastischer Beschneidung der Zeilenrate umsetzbar. Die neuen Modelle mit NBASE-T kombinieren alle Vorteile: hohe Transferleistung und hohe Kabellängen und gleichzeitig die Möglichkeit, heute existierende Software auch unter Verwendung beliebiger Libraries unverändert weiterverwenden zu können.
Fazit
NBASE-T ist also nicht schon wieder ein neues Interface, das auf die Machine Vision Community losgelassen wird. Es ist eine Technologie aus der IT Industrie, die auf bestehender Infrastruktur die Leistungsfähigkeit von GigE Vision um den Faktor 5 steigert. Ohne Dinge neu lernen oder entwickeln zu müssen, profitieren die Anwender von der hohen Geschwindigkeit in Kombination mit der eleganten und günstigen Verkabelung einer CAT5e/CAT6 Leitung und dem bewährten GigE Vision Protokoll.
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