17.04.2008 • Anlagen und Komponenten • Antriebstechnik • Mechanische Verfahrenstechnik • Messtechnik

Welchen Vorteil haben Dehnschaftschrauben gegenüber Vollschaftschrauben im Rohrleitungs- und Apparatebau

Schrauben mit Dehnschaft nach DIN 2510:1974 werden in der betrieblichen Praxis oft als Dehnschrauben bezeichnet. Im Gegensatz dazu nennt man normale Gewindeschrauben oft auch Starrschrauben. Diese unkorrekte Bezeichnungsweise führt zu der irrigen aber leider weit verbreiteten Annahme, dass sich Schrauben mit Dehnschaft stärker dehnen als die so genannten Starrschrauben, denen wegen des Namens manchmal gar keine Dehnung zugetraut wird.

Nach dem Hook'schen Gesetz führt aber im linearen Bereich des Kraft/Verformungsschaubilds bei gleichem Spannungsquerschnitt und gleichem E-Modul die gleiche Kraft zur gleichen Spannung und somit auch zur gleichen Dehnung.

Zwei Fragen ergeben sich aus obigem für den Rohrleitungs- und Apparatebauer beim Vergleich der Dehnschaftschrauben mit den Vollschaftschrauben:

1) Worin liegt der technische Vorteil der Schrauben mit Dehnschaft gegenüber Vollschaftschrauben?

2) Wo sind die originären Einsatzgebiete, bei denen der höhere Preis für die Dehnschaftschraube gerechtfertigt ist?

1) Die technischen Vorteile der Schrauben mit Dehnschaft
Schrauben mit Dehnschaft zeichnen sich durch einen – in der Regel – mittleren Bereich aus, dessen Durchmesser etwa 87% des Spannungsdurchmessers beträgt. Der Dehnschaft ist bei einer Überbelastung sozusagen die »Sollbruchstelle« der Schraube. Auf keinen Fall wird eine überlastete Dehnschaftschraube im Gewindebereich versagen. Ein weiteres Merkmal ergibt sich aus der Möglichkeit, den Bereich des Dehnschafts einer speziellen Oberflächenbehandlung zu unterziehen, wie z. B. durch rollieren oder prägepolieren.

Die Dehnschaftschraube weist einen erheblichen Unterschied der Spannungsdurchmesser des Gewindebereichs und des Bereich des Dehnschafts auf. Wenn im Schaftbereich bereits die zulässige Spannung erreicht ist, herrscht im Gewindebereich eine wesentlich kleinere Spannung. Daraus ergibt sich ein Vorteil bei Anwendungen mit schwellenden oder wechselnden Belastungen. Der kritische Gewindebereich mit seinen Kerben wird weniger stark beansprucht.
In »DIN 2510-1 Erläuterungen« wird der Einsatz von Schrauben mit Dehnschaft deshalb für den Bereich Apparate, Rohrleitungen, Turbinen bei wechselnden Betriebskräften und wechselnden Temperaturen empfohlen.

2) Die technischen Vorteile der Vollschaftschrauben (oder auch Gewindebolzen)
Durch den oben erwähnten Unterschied der Spannungsdurchmesser ergibt sich ein Unterschied der Spannungsquerschnitte von etwa 4 zu 3 zu Gunsten der Vollschaftschrauben. Es ist bekannt, dass Lastwechselzahlen unter etwa 1000 zu keinen nennenswerten Unterschieden gegenüber einer rein statischen Beanspruchung führen. In solchen häufig vorkommenden Anwendungsfällen im Bereich des Rohrleitungs- und Apparatebaus bietet die Vollschaftschraube bei gleicher Spannung den Vorteil einer um 30% bis 35% größeren Kraft bei gleicher Gewindegröße.

Und außerdem ist bei gleicher Spannung auch die gleiche Dehnung zu erwarten. Das führt dazu, dass bei gleicher zulässiger Spannung Starrschrauben sogar eine etwas größere Dehnung (Verlängerung) erfahren als Dehnschaftschrauben mit relativ kurzem Dehnschaft. Der Grund dafür ist, dass die zulässige Spannung bei der Dehnschaftschraube nur in dem kleinen Bereich der Dehnschaftlänge wirkt, während in den Bereichen mit größerem Spannungsdurchmesser nur eine entsprechend kleinere Spannung herrscht.

Im Bereich des Rohrleitungsbaues werden die Dichtungen häufig an den Schrauben zentriert. Bei Vollschaftschrauben sind zum Zentrieren der Dichtung besser geeignet als Dehnschaftschrauben. Bei den Vollschaftschrauben ist lediglich der Unterschied von Schraubenloch zu Schraube zu berücksichtigen. Bei Dehnschaftschrauben lässt sich die Dichtung wegen des kleineren Durchmessers im Schaftbereich schlechter zentrieren. Hier sollte deshalb unbedingt mit Zentrierbolzen gearbeitet werden.

3) Die sicherheitstechnische Bewertung der Dehnschaftschraube gegenüber der Vollschaftschraube
Im Europäischen Regelwerk sind Dehnschaftschrauben bisher nur für die Luft- und Raumfahrt in DIN EN 4311:2007 und DIN EN 4312:2007 genormt. National sind Dehnschaftschrauben nach DIN 2510:1974 genormt. AD 2000-Merkblatt B 7 nennt für den Betriebszustand als Sicherheitsbeiwert bei Dehnschaftschrauben S = 1,5 und für Vollschaftschrauben S = 1,8. Für den Einbau- und Prüfzustand gilt S' = 1,05 und S' = 1,26. Durch den jeweils um 20% erhöhten Sicherheitsbeiwert wird aber ein Großteil des Kräftevorteils der Vollschaftschraube wieder genommen.

DIN EN 1591-1 sagt im Vorwort aus (Zitat): »Für Schrauben werden die Nenn-Berechnungsspannungen auf Grundlage der gleichen Regeln wie für Flansch- und Schalenwerkstoffe (z. B. gleicher Sicherheitsfaktor für Zugspannung) berechnet.« Damit entfallen für Vollschaftschrauben die erhöhten Sicherheitsbeiwerte S = 1,8 und S' = 1,26 des AD 2000-Regelwerks und es ergibt sich beim Einsatz von Vollschaftschrauben der Nutzen einer größeren Schraubenkraft bei gleicher Gewindegröße.

4) Zusammenfassung
Schrauben mit Dehnschaft sind eine deutsche Entwicklung. International werden – und diese insbesondere im Rohrleitungs- und Apparatebau – überwiegen Vollschaftschrauben bzw. so genannte Gewindestangen eingesetzt.
Dehnschaftschrauben machen nur dort Sinn, wo die Schraube den überwiegenden Anteil an der elastischen Gesamtverformung eines verspannten Systems übernehmen muss, also beispielsweise im Maschinenbau sowie in der Luft- und Raumfahrt bei Verbindungen mit Blockflanschen. Hier ist der Einsatz von Dehnschaftschrauben also angebracht.

Im Rohrleitungs- und Apparatebau ergibt sich dagegen die elastisch gespeicherte Energie aus den beim Einbau erzeugten Verformungen der beiden Flansche, der Dichtung und der Gesamtheit der Schrauben. Wie anhand der DIN EN 1591 gezeigt werden kann, liefern im allgemeinen die Schrauben den geringsten Beitrag dazu. Hier kann unter dem Gesichtpunkt einer verbesserten Nachgiebigkeit auf den Einsatz von Dehnschaftschrauben verzichtet werden. Dieses Argument gilt auch beim Auftreten hoher Temperaturen oder Temperaturunterschieden.

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