Die Europäische Norm DIN EN 1591-1 hat dem interessierten Ingenieur deutlich vor Augen geführt, dass sich unter dem Einfluss der Flanschgeometrie, dem Werkstoffverhalten der Dichtung und der Flansche bei Montage- und Betriebstemperatur und nicht zuletzt unter der Schraubenkraft ein ganz bestimmter effektiver Dichtdurchmesser einstellt. Man geht dabei von der Annahme aus, dass im effektiven Dichtdurchmesser die Reaktionskraft angreift. Man kann weiter davon ausgehen, dass die hydraulische Kraft bis zum effektiven Dichtdurchmesser wirkt.
Bei dem einen oder anderen Anwender taucht immer wieder die Frage auf, welche Auswirkungen auf die Dichteigenschaften der Verbindung der sich so einstellende Dichtdurchmesser hat und wenn das so ist, ob dann eher ein großer oder ein kleinerer Dichtdurchmesser Vorteile bieten würde. Wegen der Grundsätzlichkeit dieser Fragestellung wird im Folgenden eine Antwort gegeben.
2) Kleinerer oder größerer Dichtdurchmesser – was ist günstiger?
Wegen der Überschiebeflansche werden bei Flanschen mit Dichtleiste die Variationsmöglichkeiten durch den Rohraußendurchmesser einerseits und den Dichtleistendurchmesser andererseits begrenzt. Bei z. B. Apparateflanschen mit Vor- und Rücksprung kann die Dichtung nur im Bereich der Maße des Rücksprungs variiert werden. Bei Flanschen mit Feder und Nut ist die Möglichkeit der Wahl eines bestimmten Dichtdurchmessers noch weiter eingeschränkt.
Vergleichsrechnungen nach DIN EN 1591-1 zeigen deutlich, dass ein möglichst großer Hebelarm der Dichtungskraft hG vorteilhaft ist. Das bedeutet aber, dass ein möglichst kleiner effektiver Dichtdurchmesser anzustreben ist, da der Lochkreisdurchmesser fix ist. Damit ist aber auch der Hebelarm der Rohrkraft hH fix und es gilt ein möglichst kleines Hebelarmverhältnis hH/hG zu erreichen. Dieses sorgt dafür , dass der Übergang vom Montage- in den Betriebszustand eine möglichst geringe weitere Flanschneigung verursacht und damit einem größeren Schraubenkraftverlust entgegenwirkt.
3) Die schwierige Beeinflussung des effektiven Dichtdurchmessers bei der Verwendung von Dichtungen aus Plattenware
Die Dichtleisten nach der DIN EN 1092-1:2007 sind abgesehen von einigen Ergänzungen die gleichen wie die der DIN Flansche der Reihe DIN 2627ff. Die Maße der Dichtleistendurchmesser der DN 50, DN 100, DN 200 und DN 400 betragen 104 mm, 158 mm, 268 mm und 490 mm bei Lochkreisdurchmessern von 125 mm, 180 mm, 295 mm und 525 mm.
Bei Dichtungen aus Dichtungsplatten oder anderen Dichtungen, deren Dicke bis über den Dichtleistendurchmesser hinaus konstant ist, wird sich durch die unvermeidliche Neigung der Flanschblätter ein effektiver Dichtdurchmesser einstellen, der nur wenig kleiner ist als der Dichtleistendurchmesser. Eine mögliche Einflussnahme über die Geometrie besteht bei derartigen Dichtungen nicht. Lediglich durch ein mehr oder weniger nachgiebiges Werkstoffverhalten der Dichtung kann eine gewisse Beeinflussung des effektiven Dichtdurchmessers erreicht werden.
4) Die mögliche Beeinflussung des effektiven Dichtdurchmessers bei der Verwendung von speziellen Dichtungen
Anders sieht es bei konstruierten Dichtungen aus wie z. B. bei balligen Kammprofil-Dichtungen oder CONVEX-Dichtungen der Fa. Kempchen Dichtungstechnik, Oberhausen. Durch die Gestaltung kann man zum einen dafür sorgen, dass der Dichtdurchmesser sich bei der Montage in der Mitte des schmalen Dichtungsprofils ausbildet und zum anderen auch bei einsetzender Neigung der Flanschblätter im Betriebszustand im wesentlichen erhalten bleibt.
Hauptmerkmal der Verbesserung ist jedoch der konstruktiv erreichbare kleinere mittlere Dichtdurchmesser. Zur Zentrierung der Dichtung an den Schrauben – oder besser: den Zentrierbolzen – ist nun allerdings ein zentrierender Außenring erforderlich.
Wie ein Vergleich der Hebelarme nach Tabelle 1 für Flachdichtungen aus Dichtungsplatten mit den Hebelarmen nach Tabelle 2 für ballige Kammprofildichtungen oder CONVEX-Dichtungen zeigt, kann so der Hebelarm der Dichtungskraft mehr als verdoppelt und das Hebelarmverhältnis erheblich reduziert werden.
Die unmaßstäblichen Skizzen Bild 1 und Bild 2 zeigen ebenfalls die Verschiebung zu kleineren effektiven Dichtdurchmessern, wenn statt der Dichtungsplatten zum Beispiel Kammprofil-Dichtungen eingesetzt werden.
5) Zusammenfassung
Zahlreiche Untersuchungen an Flanschverbindungen für hohe und niedrige Drücke bei unterschiedlichsten Temperaturen im Bereich der Rohrleitungs- und der Apparatetechnik haben gezeigt, dass aufgetretene Probleme – schon beim Probedruck oder erst im Betrieb – durch die konstruktive Änderung der vorhandenen Dichtsituation zu kleineren effektiven Dichtdurchmessern hin gelöst werden konnten.
Flanschverbindungen mit Dichtungen, die einen möglichst kleinen effektiven Dicht-durchmesser haben, werden schon bei der Montage mittels des relativ größtmöglichen Hebelarms hG nach Bild 2 durch das Moment aus der Einbauschraubenkraft verdreht.
Im Betriebszustand kann dann das Moment aus der – meist kleineren – Rohrkraft mittels des Hebelarms hH keine nennenswerte weitere Verdrehung der Flansche und die damit einhergehende Entspannung der Verbindung bewirken. Dies ist das Kennzeichen einer sicheren Flanschverbindung.
Die Verhältnisse nach Bild 1 sind wegen des großen Unterschieds zwischen den Hebelarmen hH und hG wesentlich ungünstiger. Hierbei kann die Rohrkraft insbesondere bei größeren Flanschdurchmessern und/oder Drücken zu einer weiteren Verdrehung der Flanschblätter führen und damit die Verbindung entspannen. Die Folge ist dann eine Leckage.
Besonders bei Deckelverbindungen oder Wärmetauschern kann das unangenehme Folgen nach sich ziehen.