Dr. Peter Wratil (innotec):
Zum Stand der Sicherheitstechnik, Anforderungen an die HerstellerNoch vor 20 Jahren ereigneten sich die meisten Unfälle während des Betriebs von Maschinen und Anlagen. Der konsequente Einsatz von Sicherheitstechniken und organisatorischen Maßnahmen hat die Gesamtzahl der Unfälle bis zum heutigen Tage stetig sinken lassen, obwohl die Automatisierung deutlich zugenommen hat. Allerdings treten vermehrt Sicherheitsprobleme außerhalb des Betriebs auf, da man auf die Phasen der Installation, dem Test, der Materialbeseitigung oder der Änderung zu wenig Rücksicht genommen hat. Um die gesamte Sicherheitskette betrachten zu können, hat sich das Lebenszyklusmodell besonders bewährt. Es beschreibt alle relevanten Phasen von der ersten Idee bis zur Entsorgung des Produkts. Eine Orientierung an diesem Lebenszyklusmodell trägt dazu bei, die gesamte Wertekette
sicher zu gestalten und damit nicht nur die Betriebsphase in den Vordergrund zu stellen.
Die Betreiber und Hersteller von Maschinen oder Anlagen müssen während aller Phasen des Lebenszyklus geeignete Maßnahmen ergreifen, die notwendige Sicherheit zu gewährleisten. Neben der reinen Vorstellung der technischen Lösungen der Hersteller von Sicherheitssteuerungen sollten die Vortragenden daher auch insbesondere auf folgende Merkmale eingehen:
- Abdeckung der Phasen innerhalb des Lebenszyklus
- Einfache Programmierung oder Parametrierung
- Schnelle und übersichtliche Diagnose
- Methoden und Verfahren zu Erweiterungen und Systemänderungen
Robert Giehrl (Entwicklungsleiter bei der Krones AG)
AufgabenbeschreibungErdnüsse, Fruchtsaftgetränke oder Tabletten werden wie ein Großteil aller anderen Lebensmittel mit ungeheurer Geschwindigkeit verpackt und etikettiert. Die hierzu notwendigen Maschinen und Anlagen haben nicht selten hausgroße Ausmaße und bestehen aus mechanischen und elektronischen Einheiten, die im Zusammenspiel miteinander Flüssigkeiten abfüllen, Verpackungen verkleben und Beschriftungen anbringen.
Die einzelnen Arbeitsgänge sind extrem komplex, wenn es beispielsweise darum geht, ein Etikett von einer Endlosrolle abzuschneiden, dieses exakt auf einer Dose oder Flasche zu platzieren und es ohne Verschmutzung zu verkleben. Die notwendigen Antriebe müssen daher sehr dynamisch arbeiten und hohe Drehzahlen erreichen. Die einzelnen Bewegungsabläufe sind nur in Zeitlupenstudien oder bei stroboskopischen Untersuchungen sichtbar.
Während die Produktionsphase arbeiten derartige Maschinen ohne jeglichen Eingriff durch Personen; daher sind keinerlei Gefährdungen zu erwarten. Anders stellen sich die Phasen der Materialbeseitigung, der Änderung oder der Maschineneinrichtung dar. Hier kommen Personen direkt mit den beweglichen Teilen der Maschine in Berührung und müssen sich stets darauf verlassen, dass es zu keinen unerwarteten Bewegungen kommt. Neben den funktionalen Ablauf der Maschine, ist ein Sicherheitssystem notwendig, das den Eingriff von Personen erkennt oder auf Notaus-Anforderungen reagiert. Dieses Sicherheitssystem wirkt direkt auf die gesamte Maschine und garantiert entweder ein sicheres Fernhalten von Personen (z.B. über eine Türzuhaltung) oder eine rasche Abschaltung, damit man in den gefährlichen Bereich ohne Risiko eingreifen kann.
Die Firma Krones stellt Etikettiermaschinen her, die vorwiegend Kunststoffflaschen mit Papieretiketten versehen, die den Inhalt und gegebenenfalls weitere Informationen über das Produkt angeben (Haltbarkeitsdatum, Zusätze usw.) (siehe Abb. 1)
Die Maschine transportiert Kunststoffflaschen von der linken Seite kommend in ein Karussell, innerhalb dessen die Flaschen mit Etiketten versehen sind. Der in Abb. 1 vorgestellte Etikettiermaschinentyp besteht grundsätzlich aus zwei Einheiten
- Die Basismaschine : Sie übernimmt den Transport und das Festhalten der Behälter.
- Einzelne, andockbare Etikettierstationen: Sie sorgen für das Schneiden und Aufbringen des Etiketts. Die Anwesenheit eines Aggregates muss sicherheitsgerichtet und auf Grund der geforderten Robustheit, berührungslos detektiert werden.
Die Sicherheitsfunktion ist in die zwei Bereiche, der Notaus-Funktion und dem Schutzbereich aufgeteilt. Der Notaus-Kreis ist einfach aufgebaut und entspricht einer Standardausführung. Nach dem gesteuerten Stillsetzen erfolgt kurze Zeit später die Abschaltung der Leistungsendstufen. Bei der Schutz-Funktion ist deutlich mehr Sicherheitslogik erforderlich. Zum Beseitigen einer Störung oder zum Einrichten einer neuen Ausstattung ist es zweckmäßig, den Bewegungsvorgang bei geöffneter Schutztür innerhalb eines einsehbaren Wirkungsbereiches langsam ablaufen zu lassen. Speziell dafür vorgesehene Tipptaster wirken auf die Sicherheitslogik und starten den Jog-Betrieb.
Das zentrale, ergonomisch aufgebaute Bedienterminal ist über den gesamten Bereich der Etikettierstationen schwenkbar. Je nach Position des Touchscreens werden bestimmte Funktionen für die nächstliegende Etikettierstation freigeschaltet, deshalb ist auch hier eine sicherheitsgerichtete Abfrage erforderlich.
Die folgende Abbildung stellt den gesamten Ausbau der Maschine in der Ansicht von oben dar.
Um jegliche Gefahr für Personen zu unterbinden sind insbesondere zwei Bereiche von besonderem Interesse:
- Die Andockstationen werden, ja nach Funktionen der Maschine, an eine der sechs Andockstellen angebracht. Bei einfachen Prozessen bleiben eventuell auch Andockstellen frei. Da sich hinter den Andockstellen gefahrvolle Maschinenteile befinden, die beim Eingriff zu Verletzungen führen können, müssen die angedockten Einheiten mit Sicherheit erkannt werden. Nur wenn sich Andockstationen oder eine geschlossene Klappe vor dem Karussell befinden, ist ein Anlauf der Maschine möglich.
- An der Position des Touchscreens kann eine Person die Funktion des Tipp-Betriebs auslösen. Hier ist es besonders wichtig, dass Bewegungen der Maschine nur in den einsehbaren Bereichen ablaufen können. Anderenfalls besteht die Möglichkeit einer Verletzung, sofern sich eine Person beispielsweise im gegenüberliegenden Bereich der Maschine befindet und ein Tipp-Betrieb ausgelöst wird, ohne die Person zu erkennen.
Die gesamte Aufgabestellung lässt sich durch das Anbringen und Verarbeiten von Sensoren und einer Kleinsteuerung realisieren. Dabei stellt Abbildung 3 eine Übersicht der Anordnung der Sensoren dar:
Folgende Sicherheitskomponenten sind zum Betreib erforderlich:
- 3 Not-Aus-Taster, Not-Aus-Kontakt von einer Fremdmaschine
- 6 Sicherheitsschalter zur Türabfrage, 6 berührungslose Andockschalter, 6 Positionsschalter für Bedienterminal-Stellung, Schutzkreis-Signal von jedem Etikettieraggregat
- 2 spezielle Tipptaster zur Überbrückung des einsehbaren Schutzbereiches
- Komponenten zum Erfassen der Sensorinformationen, Verarbeitung der Sicherheitslogik, Ausgeben der sicherheitsgerichteten Signale
- Notaus-Signalweitergabe an jede Etikettierstation, Signalweitergabe zur Fremdmaschine, abschaltverzögertes Notaus-Signal zum Unterbrechen der elektrischen Energie
- Schutzkreis-Signalweitergabe an jede Etikettierstation, abschaltverzögertes Schutzkreis-Signal zum Unterbrechen der elektrischen Energie
Die Komponenten erfüllen dabei folgende Funktionen:Not-Aus-Taster: Beim Drücken einer Not-Aus-Taste werden die Antriebe innerhalb einer definierten Zeit bis zum Stillstand abgebremst (Stoppkategorie 1). Nach dem sicheren Stillstand erfolgt zeitverzögert die Trennung von der Spannungsversorgung.
Schutztür-Schalter: Diese Schalter erkennen, ob eine Schutztür geöffnet oder geschlossen ist. Je nach Kundenvorschrift werden diese auch mit Zuhaltung ausgeführt.
Andockschalter: Damit wird erkannt, ob eine Station an- bzw. abgedockt ist. Für diese Funktion ist ein berührungsloser Sensor in hoher Schutzart erforderlich. Die Etikettierstation übergibt zusätzlich ein sicherheitsgerichtetes Signal über die Steckvorrichtung an die Maschine. Dies meldet der Sicherheitssteuerung falls an der Etikettierstation intern die Schutzverkleidung geöffnet wurde.
Positionsschalter Touchscreen: Am Touchscreen-Gehäuse befindet sich ein Tipp-Taster mit dem die Maschine auch bei geöffnetem Schutz gestartet werden kann (Tipp-Betrieb in niedriger Geschwindigkeit). Dieser Tipptaster darf jedoch nur dann aktiv sein, wenn sich der geöffnete Schutz im „Nahbereich“ bzw. „Sichtbereich“ der tippenden Person befindet. Deshalb muss sicherheitsgerichtet erkannt werden, in welchem Bereich sich Touchscreen und Tipptaster befinden, um in Abhängigkeit davon, die jeweiligen Schutztüren zu überbrücken. Zusätzlich wird in Positionsabhängigkeit auch die Höhenverstellung der Etikettierstation freigeschaltet, Bewegungen von Maschinenteilen können nur im unmittelbaren Sichtbereich der Bedienperson eingeschaltet werden.
Beweglicher Tipptaster Maschine: Dieser „bewegliche Tipptaster“ ist an einem Spiralkabel mit der Maschine verbunden. Mit diesem Tipptaster kann die Maschine gestartet werden (Tipp-Betrieb in niedriger Geschwindigkeit). Der Tipptaster ist nur aktiv, wenn eine Schutztür innerhalb des gültigen Sichtbereichs geöffnet ist.
Betriebsartenwahlschalter: Dieser Betriebsartenwahlschalter ist als Schlüsselschalter ausgeführt und unterhalb des Displays montiert. Mit diesem Schalter wird zwischen Tippbetrieb und Produktionsbetrieb umgeschaltet.
Die Lösungen der Anbieter:Die Lösungen für das Sicherheitssystem der Etikettiermaschine waren überaus unterschiedlich und offenbarten teilweise neuartige Wege. Die Sicherheitsapplikationen begannen bei einfachen Bussystemlösungen, die nur eine Parametrierung erfordern und endeten bei komfortablen Steuerungseinheiten, die man flexibel programmieren und erweitern kann. Einige Hersteller gingen sehr detailliert auf die Problemstellung ein und gaben genaue Auskünfte über Wartungs- und Erweiterungsmöglichkeiten. Auch die Eigenschaften der Diagnose wurden in manchen Fällen vereinzelt vorgestellt. Andere wenige Hersteller beschränkten sich jedoch nur auf die reine Präsentation ihrer Produkte und offenbarten kaum Details zur spezifischen Sicherheitslösung.
Kurzübersicht der Lösungen und Besonderheiten
(Reihenfolge wie im Benchmark-Meeting)
SICK:Steuerungssystem UE4400
Zentrales System mit dezentralen Einheiten
Freie Wahl der übergeordneten SPS
System ist verfügbar
Programmierung ist bereits nach IEC 61508 SIL 3 zugelassen
Keine weiteren Zulassungen nach Kundenapplikationen notwendig
Jokab Safety:Steuerungssystem PLUTO
Zentrales System mit dezentralen Einheiten
Proprietäre Lösung der Buserweiterungen oder der Parallelschaltung über 2-Draht-Bus
Integration eines Drehgebers zur Abfrage der Touchscreen-Position (eventuell mit 2 Drehgebern)
Direkte Diagnose von Fehlfunktionen
Leuze lumiflex:Lösungsansatz ohne Steuerungssystem durch Verwendung von ASi-Safety
Verwendung eines ASi-Monitors zur Kontrolle aller Sensoren
Direkte Kommunikation zwischen Sensoren und Monitor ohne Steuerung
Diagnose über ASi-Monitor
Rockwell Automation:Lösungsvorschläge mit sicheren Hardwarebausteinen und mit Steuerung (MSR200/300 und GuardLogix)
Kommt dem Kunden entgegen, der nicht programmieren möchte (Bausteinlösung)
Es besteht aber auch die Möglichkeit einer Programmierung (SPS-Lösung)
Bei weltweitem Einsatz kann man „konfigurieren“ anstatt zu „programmieren“
Beide Lösungen enthalten „Security-Funktionen“, die Manipulation unterbinden
Bernstein:Steuerungssystem Safe LogiControl mit zentralen und dezentralen Einheiten
Kombination von sicheren Komponenten und Standardeinheiten
Einfachste Adaption von Sensoren der Maschine (Notaus, Türposition, usw.)
Neuartige Lösung bei der Erfassung der Türposition (SHS3 mit Scharnier)
Vollständige programmierbare Sicherheitsfunktion mit Funktions-Bausteinen
Zugelassen nach IEC 61508 SIL 3
Verfügbar ab November 2006
Pilz:Steuerungssystem PSSuniversal
Module sind scheibchenweise erweiterbar (optimale Anpassung auf Applikation)
Kombination von sicheren Komponenten und Standardeinheiten
Module zum Anschluss von fremden Bussystemen (z.B. Profibus, Ethernet)
Lösung ohne Safetybus-P
Konform zu neusten Normen (z.B. prEN ISO13849)
Zugelassen nach IEC 61508 SIL 3
Siemens:Steuerungssystem SIMATIC S7 (mit 317F-CPU)
Kombination von sicheren Komponenten und Standardeinheiten
Weitreichende Strukturierung der Hierarchie (Hauptsystem und dezentrale Einheiten)
Freie Wahl der Verteilung der Steuerungssoftware
Siemens ist Anbieter aller weiteren zur Applikation notwendigen Sensoren
Fazit
Das VDMA-Benchmak-Meeting war erneut eine gelungene Veranstaltung, die allen Anwendern und Interessierten wesentliche Einblicke in die Möglichkeiten der Sicherheitstechnik geboten hat. Die Systemintegratoren zeigten sich recht zufrieden mit den Präsentationen, da ihnen neue Wege vermittelt wurden, neben den rein diskreten Verdrahtungen auch sichere Steuerungen einzusetzen. Die Firma Krones wird die Anregungen aufnehmen und in nächster Zeit in ihre Maschinen integrieren.
Kontakt:Dr. Peter Wratil
Innotec
21224 Rosenheim
Peter.Wratil@innotecsafety.de
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